Auf gut sechs Kilometern ein Jahrhundert Verkehrs- und Kulturgeschichte erwandern - eine erholsame und spannende Zeitreise auf der alten Fährstraße bei Hemmoor im Osteland
Wir starten unsere Wanderung im historischen Ortskern von Osten (1).
Es war einmal ein Dorf im Zweistromland zwischen Weser und Elbe: Osten, gesprochen mit langem Ooo und gelegen an der idyllischen O(oo)ste, über die jahrhundertelang kaum eine Brücke führte. Nur Fähren pendelten zwischen den grünen Ufern, in den Fährorten gediehen Handel und Wandel.
Die gerade einmal 800 Einwohner konnten es sich leisten, den berühmten Baumeister Prey, der auch den Hamburger “Michel“ entworfen hatte, mit dem Bau ihrer stattlichen St.-Petri-Kirche (1745-1748) zu beauftragen. Die stilreine Barockkirche mit ihren ehemals 1200 Sitzplätzen wird im Dorf heute noch “unser Michel“ genannt. Die 1890 von den Gebrüdern Peternell gebaute Orgel hat dazu beigetragen, dass das Land an der Oste den Beinamen „Orgelparadies“ trägt. Ein Besuch der Kirche, die eine Station des norddeutschen Mönchsweges ist, lohnt sich. Sie ist von April bis Oktober für Jedermann von 9 bis 18 Uhr geöffnet.
In Osten sind ca. 90 Prozent der Gebäude vor 1914 erbaut; viele stehen unter Denkmalschutz.
Ein Gang nahe der Kirche, zwischen Deichstraße 23 und 24, führt zu der Stelle, an der in alten Zeiten im sogenannten Kirchosten die Fähre anlegte (2). Wir biegen gegenüber in die Lange Straße ein, der man heute kaum noch ansieht, dass vor 100 Jahren wohl jedes ihrer Häuser ein Geschäft beherbergte.
Bis etwa 1900 war Osten ein blühender Handelsort, reich geworden durch Ziegeleien und Schiffbau, Walfang und Fischerei. Als in der Oste noch Störe schwammen, versorgte Osten die Hamburger sogar mit Kaviar. Seit 2009 wird hier versucht, den Stör wieder anzusiedeln.
Bevor wir links in die Fährstraße abbiegen, werfen wir einen Blick auf die Gebäude hinter der Apotheke (3). Wo sich heute eine Arztpraxis befindet, war früher der Sitz des Amtsgerichts. Die Gitterfenster des einstigen Gefängnisses nebenan sind heute noch vom Haus Fährstraße 24 zu sehen.
An der Fährstraße, die sich durch den Ortskern windet, stehen viele denkmalgeschützte Häuser, die, wie das Café Central und die benachbarte frühere Kornmühle, vom einstigen Wohlstand künden. Die ehemalige Mühle hat ein Verein vor dem Verfall bewahrt und zu einem Kulturzentrum umgestaltet. Hier finden regelmäßig Veranstaltungen statt. (www.kulturmuehle-osten.de/)
Gerichtssitz, Hafen und Handelszentrum mit 160 Gewerbetreibenden – kein Wunder, dass das Fährdorf auf Postkarten früher fälschlich als “Stadt Osten“ bezeichnet wurde.
Um 1900 drohte dem Ort Gefahr: Die Schifffahrt mit den großen Oste-Ewern verlor an Bedeutung gegenüber der Eisenbahn. Die 1881 eröffnete neue Bahnlinie Harburg – Cuxhaven aber führte, jenseits der Oste, über den Bahnhof “Basbeck-Osten“ im Nachbarort Basbeck (heute Teil der Stadt Hemmoor). Bei Hochwasser und Eisgang konnte die Ostener Fähre nicht fahren – der Ort war von der Umwelt abgeschnitten.
Wir folgen der Fährstraße bis zu ihrem Ende, der Deichlücke zur Schwebefähre (4), dem Wahrzeichen des Ostelandes.
Wie hoch die Oste früher, bis zum Bau des Ostesperrwerks 1968, mitunter auflief, zeigen die Hochwassermarken an der Deichlücke.
Der Ersatz der Prahmfähre durch eine modernere Form der Flussquerung, die allerdings die Segler mit ihren 30 Meter hohen Masten nicht behindern durfte, wurde für Osten zur Existenzfrage. Als Lösung bot sich damals eine Schwebefähre an, wie sie 1893 erstmals bei Bilbao in Spanien gebaut worden war. Die durch den Eiffelturm gerade populär gewordene Stahlfachwerk-Bauweise ermöglichte ein Maximum an Stabilität bei einem Minimum an Materialaufwand.
Nach jahrelangem Kampf – die Nachbardörfer verweigerten jegliche Hilfe – entschloss sich Osten, die erste deutsche Schwebefähre zu bauen. Bauleiter war der Berliner Diplom-Ingenieur Max Pinette. Am 1. Oktober 1909 wurde die Schwebefähre feierlich eingeweiht.
Über die Geschichte der Schwebefähre informiert, gleich nebenan, die „FährStuv“, das Museum zur Schwebefähre.
Nun nutzen wir eine der touristischen Demonstrationsfahrten mit der 2005 restaurierten Fähre und schweben über die Oste auf die Hemmoorer Seite. Da die Fährmänner und -frauen ehrenamtlich tätig und nicht immer vor Ort sind, kann es sein, dass die Schwebefähre nicht besetzt ist. Dann gehen wir am Deich entlang Richtung “blaue Autobrücke“. Bevor wir unter dieser Brücke hindurch gehen, befindet sich rechtsseitig ein Fußgänger- bzw. Radweg, der uns über die Straßenbrücke führt. Am Ende der Brücke benutzen wir die Treppe, um zur Hemmoorer Anlegestelle der Schwebefähre, am anderen Osteufer, zu gelangen (Alternativroute) (Fährzeiten: www.schwebefaehre-osten.de/)
Bei der Überfahrt über die Oste ist links das Gelände der Wasserbaubehörde NLWKN zu sehen, auf dem auch Stackbusch lagert, wie er seit Alters her für die Uferbefestigung Verwendung findet.
Bis hinauf nach Bremervörde werden die Ufer durch Ebbe und Flut strapaziert, die den Wasserstand zweimal täglich um mehr als zwei Meter anheben und senken.
Einstmals beförderten Pferdekutschen die Fahrgäste von Basbeck nach Osten. Die beiden Häuser nahe der Schwebefähre, neben der Schutzhütte, waren früher gut besuchte Gaststätten.
Auf der Hemmoorer Seite angekommen, befinden wir uns nun auf der Fährstraße, einer schnurgeraden Allee, die seit alters her zur Basbecker Bahnhofstraße führt. Hier können Sie entlang der Infomeile der Weltschwebefähre (5) an vier Informationspunkten Wissenswertes über die noch existierenden Schwebefähren erfahren.
Nachdem wir die B 73 überquert haben, geht es weiter geradeaus über die Bahnhofstraße zum Hemmoorer Bahnhof (6). Im Bahnhofsgebäude befinden sich die Tourist Info und ein Bistro.
Am Bahnhofsgebäude (1881) war früher noch die Aufschrift “Basbeck-Osten“ zu erkennen. Der Bahnhof wurde nach dem Zusammenschluss Basbecks, Warstades und anderer Orte und nach Verleihung der Stadtrechte an das neue Gebilde 1992 in “Hemmoor“ umbenannt. Der ehemalige Güterschuppen nebenan beherbergt heute eine rustikale Kneipe mit vielen historischen Erinnerungsstücken aus der Dampflok-Ära.
Nach einer kleinen Stärkung geht es zurück auf die Bahnhofstraße. Wir biegen dort links in den Strandbadweg (7) ein. Dort folgen wir rechts dem Spazierweg entlang des Heidestrandbades, einer ehemaligen Tonkuhle der damaligen regionalen Ziegelproduktion.
Wir erreichen nun das Hallenbad “OsteWelle“ an der B 495 und folgen rechterhand der Bundesstraße bis zur Brücke über die B 73, die wir überqueren. Am Ende der Brücke gehen wir die Fußgängertreppe (8) hinab, unterqueren die Brücke und biegen rechts in den Weg “Zur Siethwende“ ein. Den Weg folgen wir, bis wir wieder die Oste erreicht haben (9).
Vom Deich aus sehen wir diesseits der Oste das Gelände der “Wasserfreunde Hemmoor e.V.“, die seit 1974 alljährlich eine Regatta, den “Oste-Marathon“, mit Gästen aus ganz Deutschland veranstalten, die das Rudern auf dem Tidefluss als besonders reizvoll schätzen. Jenseits der Oste sind die Anleger des “Wassersport-Club Osten e.V.“ zu sehen, die gerne von Gästen besucht werden.
Die bis Bremervörde für Motorboote zugelassene Oste ist, so das dänische Fachblatt “Sejleren`s“, ein “Geheimtipp“ und “Kleinod“ für Skipper.
Wer kein Boot sein Eigen nennt, kann die Oste mit dem Fahrgastschiff “Mocambo“ (portugiesisch so viel wie Glückseligkeit, Gemütlichkeit) erleben, für das in Osten ein eigener Anleger vorhanden ist. Der ehemalige Hamburger Alsterdampfer ist Deutschlands ältestes noch aktives Fahrgast-Motorschiff. (https://www.oste-schifffahrt.de/)
Ebenso beliebt wie bei den Skippern ist die Oste mit ihren Schilfgürteln, dem relativ sauberen Wasser und einem reichen Fischbestand, von Aal bis Zander, bei den Sportanglern. Den auch von hiesigen Vereinen unterstützten Artenschutzaktionen ist zu verdanken, dass der Kaviarfisch Stör wiedereingebürgert ist und auch der “König der Fische“ hier wieder laicht. Inzwischen gilt die Oste sogar als “Deutschlands Lachsfluss Nummer 1“.
Nun gehen wir entlang des Deichs, unter der Ostebrücke hindurch, rechts die Fußgängertreppe (10) hinauf und überqueren die Straßenbrücke. Am Ende der Brücke folgen wir rechts dem Fußgänger- und Radweg (11) nach Osten hinab.
Der Bau der 1974 eröffneten Ostebrücke war nötig geworden, weil die Schwebefähre dem zunehmenden Autoverkehr nicht mehr gewachsen war. Das Ende der Segelschifffahrt ermöglichte nun, anders als 1909, den Bau einer niedrigen Flussbrücke.
Einen Tag nach der Eröffnung der neuen Brücke stellte die Schwebefähre ihren Betrieb ein. Osten verlor mit der Einnahme aus dem Fährgeld, das 65 Jahre lang in die Dorfkasse geflossen war, nicht nur seine “Melkkuh“, wie es eine damalige Karikatur darstellte, fortan floss auch ein Teil des Einkaufsverkehrs an Osten vorbei über die Brücke. Bald darauf schwächten auch die Schließung des Amtsgerichts und erste Discountmärkte jenseits des Flusses die Wirtschaftskraft des Dorfes.
Immerhin gelang es einer 1975 gegründeten Fördergesellschaft um den 2021 verstorbenen Fährkrug-Hotelier Horst Ahlf mit Hilfe des Denkmalschutzes und des Landkreises Cuxhaven, den drohenden Abriss der Schwebefähre zu verhindern und sie für touristische Fahrten restaurieren zu lassen.
Nach der durch Bauschäden verursachten Stilllegung des technischen Baudenkmals 2001 warben die “Fördergesellschaft zur Erhaltung der Schwebefähre Osten – Hemmoor e.V.“ und der Landkreis Cuxhaven als Eigentümer mit Erfolg für Zuschüsse für die rund 1,4 Millionen Euro teure Reparatur. Unterstützung erhielten die Fährfreunde vom damaligen spanischen König Juan Carlos I., dem Ehrenpräsidenten des 2003 gegründeten Weltverbandes der Schwebefähren, von denen heute nur noch acht (von ehemals rund 20) existieren.
Durch Spenden und den Verkauf von Sonderbriefmarken wurde 2005 zudem das Geld für eine nächtliche Illuminierung des nationalen Baudenkmals aufgebracht.
Die “Deutsche Fährstraße Bremervörde - Kiel“ und der “Oste-Radweg Tostedt – Balje“ binden die Schwebefähre seit 2004 bzw. 2012 in überregionale touristische Strukturen ein (www.arbeitsgemeinschaft-osteland.de/)
Linksseitig wandern wir nun den Deich bis zu unserem Ausgangspunkt entlang (1).
An der Kirche zeigt das Heimatmuseum “Museum Alte Rektorschule“ eine ungewöhnlich reichhaltige Sammlung von etwa 4500 Behältnissen alkoholischer Getränke aus aller Welt, die das Ehepaar ten Doornkaat zusammengetragen hat. Aus allen Wirtschafts- und Lebensbereichen dieser Gegend sind Gerätschaften, Werkzeuge, Haushaltsgegenstände und Möbel zu besichtigen. Nach vorheriger Anmeldung beim örtlichen Heimatverein kann diese einmalige Sammlung besichtigt werden. (historischesosten.wordpress.com/)
Die “Deutsche Fährstraße“ und die “Infomeile der Weltschwebefähren“ wurden 2003 bzw. 2009 von Jochen Bölsche für die AG Osteland e.V. konzipiert.
Ebenso hat Herr Bölsche den hier von ihm beschriebenen “Historischen Fährweg“ 2005 entworfen, der zum zwanzigjährigen Bestehen 2025 aktualisiert wurde.
(https://www.arbeitsgemeinschaft-osteland.de/)